Historisch

02. Februar 2005 | Fachbücher

Innenarchitektur in einer Jugendstilvilla

Auf Schatzsuche in altem Gemäuer

Als wir die alte Villa entdeckten, war sie ziemlich heruntergekommen. Überall fiel der Putz ab, am Dach und bei den Fenstern regnete es herein, Ofenrohre ersetzten Fallrohre, der Garten wuchs durch die Ritzen nach innen, die Kamine waren baufällig. Im Inneren war es kaum anders: Schimmelnde Wände mit vermoderten 70er Jahre Tapeten (z.T. 5 verschiedene Dessins in einem Raum !), alles voll gestopft mit dem Hausrat eines Jahrhunderts, die Böden mit beigen Teppichen und PVC beklebt, Stromleitungen über Putz, eine Zeitgeschichte an Schaltern und Dosen an
den sonderbarsten Stellen.

Doch dann nach dem Entrümpeln, als die Tapeten und die folgenden Farb-schichten entfernt wurden, entdecken wir überall wunderschöne Schablonenmalereien an den Wänden, teilweise aber auch an den Decken. Ein weiterer Glücksfall: Alle alten Original Tür- und Fensterbeschläge sind noch vorhanden! Unter den vollflächig verklebten Bodenbelägen kommen 100 Jahre alte Dielenböden hervor, die wieder ausgeflickt, geschliffen und geölt werden.

Farben und Experimente

Außer der Anforderung, Leitungen für Strom und Wasser auf modernen Standard unter Putz zu legen, statt der Holz- und Ölöfen eine Heizung – oder besser Temperierung – einzubauen, sowie die denkmalgeschützten Details wieder fachgerecht in Ordnung zu bringen, reizte die dort dokumentierte, ursprüngliche Freude an Farben und Formen, dies auch in das Hier und Jetzt herüberzuholen. Und es verlockte zu Experimenten mit alten Materialien und Techniken, kombiniert mit heutigen Möglichkeiten, in neuen Farbzusammenstellungen. Grundlage für die Farbauswahl wurden die Himmelsrichtungen, in denen die einzelnen Räume angeordnet waren: Kühle Farben im Südwesten, warme Farben im Norden, frische Farben im Osten.

Bild-010 

Chefbüro

DAC-2 

Rezeptionstheke, Bar und Wartesofa

Nr-2ret-1

Teeküche, Bar als Büromittelpunkt

DAC-3

Mitarbeiterbüro

Im Farbrausch

Im Inneren der Jugendstilvilla, im Flur, ist die ursprüngliche rosa Farbe im oberen Wandbereich als Lasur wieder zum Einsatz gekommen. Doch darunter ersetzt ein dunkles Weinrot das frühere Türkisblau. Eine vorhandene schmale Doppellinierung, besteht nun aus einem mit Weiß abgesetzten, breiten Dunkelgrau-Roten Streifen. Auf dem Rosé sitzt wie früher die sonnengelbe Schablonierung. Dies ergibt einen besonderen Effekt: Teils sieht man die Schablonenmuster besonders gut, teils verschwinden sie fast vollständig im rosa Grundton, je nach Blickwinkel und Lichtverhältnissen. Neben einem alten Jahrhundertwendesofa, welches zum Inventar gehört und wieder neu gepolstert und bezogen wurde, steht im Mittelpunkt des Büros nun auch eine Teeküche / Bar, wo sich vorher ein kleines Badbefand. Material und Farben nehmen die des Bestandes auf, doch formal reduziert und klar kontrastiert dieses Möbel. Die Beleuchtung verbindet alte Vorbilder (z.B. Wandfackeln) mit modernem Design.

Im Chefbüro dominiert an den Wänden ein mit eingefärbtem Putz entstandenes, kühles Rautenmuster, welches sauber zwischen oberem Wandbord und Sockelleiste aufgeteilt ist, ebenso wie von Raumecke zu Raumecke. Jedes zweite Feld ist mit einer Lasur dunkler eingefärbt. Abschlies-

send wurde alles komplett geseift, was eine samtige Oberfläche verleiht. Ein eingeflicktes, helleres Bodenfeld in der Raummitte, welches unter dem PVC zum Vorschein kam, erhielt eine umlaufende Holzintarsie, die aus dem Flickwerk etwas Gewolltes, Hochwertiges macht. Die Form erinnert nun an einen „hölzernen“ Teppich.

Im Mitarbeiterbüro, welches als einziger Raum in dieser Etage ein Stuckfries besitzt, wurden die Wände mit Nesselstoff beklebt, mit orangen, gelben und pinkfarbigen Streifen bemalt, ebenso wie der untere Teil des Stucks. Dadurch wird deutlich, dass es sich hier nicht um eine Tapete handelt! Die sonnigen, warmen Farben sorgen für eine fröhliche Stimmung, auch wenn dieser Raum durch seine Nordlage ggf. nur morgens und abends Sonnenstrahlen abbekommt.

Kurzinformation

Büro: Innenarchitektur-Design Anne Batisweiler-Leinberger, München
Projektbeteiligte: Linie 8 Lichtarchitektur, München
Büroprofil: Büros, Kinos, Gastronomie, Wohnungen, Praxen
Auftraggeber: Anne Batisweiler, München
Fotos: Wolfgang Pulfer, München
Text: Anne Batisweiler-Leinberger

Beitrag in BDIA Handbuch 2004/5
Autorin: Anne Batisweiler
Verlag: A + I Verlag GmbH
ISBN:3-937105-02-6

Was wir noch können

Termine

08. bis 10. März 2024

Münchner Stoff Frühlig

Link

11. bis 19. Mai 2024

munich creative business week

Link

Referenzen