Die liebevoll renovierte Jugendstilvilla in München-Pasing ist ein wahres Schatzkästchen exklusiver Maltechniken und ausgeklügelter Farbzusammenstellungen – geboren in kreativer Zusammenarbeit zwischen der Bauherrin und Innenarchitektin Anne Batisweiler und dem Maler Winfried Kaftan.
Der kräftige Rotton an den Wänden endet ungefähr auf halber Raumhöhe – er gliedert den Raum und gibt ihm Halt und Tiefe. Eine dunklere, weiß gefasste, gemalte Doppellinierung setzt das satte Weinrot streng ab. Quasi als Gegenpol zur roten Bodenhaftung tanzt darüber in sonnigem Gelborange eine himmlisch leichte Schablonierung, appliziert auf die helle Rosé-Lasur des oberen Wandbereichs. Diese ausgeklügelte durch historische Befunde belegte Farbkombination von Wandfarben und Schablonierung lässt die Malerei je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel mal kräftiger, mal zurückhaltender erscheinen. Dies weckt Erinnerungen an bruchstückhaft zu Tage tretende Fresken im abblätternden Putz historischer Gemäuer.
Mit diesen gleichwohl einladenden, warmen, wie auch spannenden Farbmischungen und –techniken an den Wänden werden die Besucher in der Diele des Innenarchitekturbüro empfangen.
Den exakten Farbton mischen
Das dunkle Weinrot ist exakt auf den neu gearbeiteten Bezugsstoff des zum Inventar gehörenden Jahrhundertwendesofas abgestimmt – eine farbmischtechnisch hervorragende Leistung, die natürlich erst nach mehreren Versunchen gelang. Anne Batisweiler berichtet anerkennend von den Fertigkeiten „ihres Malers“ und fügt bedauernd hinzu, dass es ja heutzutage gar nicht so einfach sei, einen Maler zu finden, der einen Farbton noch exakt nachmischen zu können. Noch dazu mit Kalkfarben, denn darauf bestand die Bauherrin, die ihrem „Ökosystem altes Haus“ großen Wert auf baubiologische Materialien legt. Die weiß abgesetzten Kanten an den Ecken und am Deckenübergang und die weißen Sockelleisten seien eine Idee von Maler Winfried Kaftan gewesen, berichtet die Bauherrin.
Die Jugendstilvilla mit dem liebevoll bemalten Fensterläden ist ein Kleinod in der Gegend
Anne Batisweiler und Winfried Kaftan: „Die gemeinsame Arbeit in der Villa hat uns sehr viel Freude gemacht und uns immer wieder neu inspiriert“
Lebendige Räume gestalten
Schon von außen wird klar, dass es sich bei dem Jugendstilgebäude mit seinen bemalten Fensterläden und der gebürsteten Fassaden um etwas Besonderes handelt. Doch beim Eintreten ist der Besucher überwältigt von der reichen, abgestimmten Farbgestaltung und den Maltechniken. Es wird ein außerordentliches Talent und ein echtes Faible für die Raumgestaltung mit Farben und Techniken und für die Flächenproportionierung sichtbar, wodurch die Räume lebendig wirken. Zur Lebendigkeit gehört auch die Tiefe – auch ein Grund, warum Anne Batisweiler gerne Kalkfarben verwendet: „Mit Kalkfarben bekommt eine Wandfläche viel mehr Tiefe“, weiß sie aus Erfahrung.
Mit der Renovierung der alten Villa konnten Anne Batisweiler ihre Freude an Farbgestaltung auch im Hinblick auf die historische Authentizität in vollen Zügen ausleben, fanden sich doch nach dem Entrümpeln überraschenderweise unter dicken Tapeten- und Farbschichten wunderschöne Schablonenmalereien an den Wänden und teilweise an den Decken.
In ihrem Essay im BDIA Handbuch Innenarchitektur 2004/2005, in dem das Objekt vorgestellt wird, schreibt sie: „Als wir die Villa entdeckten, war sie ziemlich heruntergekommen. Überall fiel der Putz ab, am Dach und bei den Fenstern regnete es herein, Ofenrohre ersetzten Fallrohre, der Garten wuchs durch die Ritzen nach innen, die Kamine waren baufällig. Im Inneren war es kaum anders: Schimmelnde Wände mit vermoderten 70er-Jahre-Tapeten (z.T. fünf verschiedene Dessins in einem Raum!), alles voll gestopft mit dem Hausrat eines Jahrhunderts, die Böden mit beigen Teppichen und PVC beklebt, Stromleitungen über Putz, eine Zeitgeschichte an Schaltern und Dosen and den sonderbarsten Stellen“
Das Haus war fünf Jahre unbewohnt gewesen, 40 Jahre lang war so gut wie nichts daran gemacht worden.
Der Empfangsbereich lädt mit einer sehr harmonischen, in warmen Tönen gehaltenen Farbgestaltung ein. Das dunkle Weinrot wurde auf den Sofabezug abgestimmt.
Die beschwingte Schablonierung in Sonnengelb wurde nach Befunden rekonstruiert. Auch der rosa Farbton stimmt mit der Originalfarbe überein
Die Renovierung jeden Raums ist eine besondere Geschichte
Erwartungsvoll, was sich so alles in den alten Gemäuern finden würde, ging die Bauherrin zusammen mit zwei Restauratorinnen auf Schatzsuche. Nicht nur an Wänden und Decken fanden sich historische Putze, Farben und Schablonierungen. Unter den vollflächig verklebten Bodenbelägen kamen 100 Jahre alte Dielenböden zum Vorschein und sogar ein in der Art eine Perserteppichs bedruckter, ca. 2 x 3 m großer historischer Linoleumboden.
Anne Batisweiler kann zu jeden Raum eine Geschichte über die Renovierungsarbeiten erzählen. Eine solche gibt es auch zu dem Linoleumboden, die aber weniger schön ausgeht. Den sorgsam geborgenen, brüchigen Belag legte die Bauherrin mit der bedruckten Seite nach unten im Raum aus und deckte ihn mit Folie ab, weil eine andere Malerfirma in diesem Raum in ihrer Privatwohnung im Obergeschoss arbeiten sollte. Doch als die Bauherrin nach einer plötzlichen Erkrankung aus dem Krankenhaus nach Hause kam, fand sie den Linoleumboden dort nicht mehr vor. Sie entdeckte die Reste des kostbaren Belags zu ihrem großen Entsetzen im Bauschuttcontainer hinter dem Haus: Die Maler hatten das kostbare Stück einfach herausgenommen und in den Container geworfen. Von dem auf 20.000 Euro geschätzten historischen Linoleumbelag blieb ein kleiner Rest, der nun hinter Glas im Büro der Innenarchitektin hängt. Derlei Erfahrung musste die engagierte Bauherrin leider auch machen. Doch das Gute überwiegt, wenn sie über die Arbeit mit „ihrem“ Maler Kaftan berichtet.
Rautenmuster im Chefbüro
Alle Räume liegt ein übergeordnetes Farbkonzept zu Grunde, das sich an den Himmelsrichtungen orientiert, in denen die einzelnen Räume angeordnet sind: Kühle Farben für den Südwesten, warme Farben für den Norden und frische Farben für den Osten. Für den Boden bevorzugt die Innenarchitektin grundsätzlich eine dunklere Tönung, denn der Boden soll ja Halt geben, argumentiert sie.
Kühle Farben finden sich im Chefbüro, einem Meisterwerk der dekorativen Malerei. Ein in Proportionen und Farbzusammenstellung perfektes Rautenmuster überzieht die Wände, perfekt eingepasst, von Raumecke zu Raumecke, mehrere Türen und Fenster aussparend vom Boden zur Decke. Es scheint exakt aufzugehen, aber die Rauten sind in Form und Größe ganz leicht unterschiedlich, verrät Anne Batisweiler, was jedoch für das menschliche Auge nicht sichtbar ist „Ich hatte mir für mein Zimmer blaue Rauten vorgestellt und erzählte dies Winfried Kaftan“, erinnert sich die Bauherrin. Daraufhin fertigte der Maler Mustertafeln als Grundlage und gemeinsam ermittelte man nun die Proportionen der idealen Raute. Dann wurde ein weißer Putz ca. 2 mm dick aufgetragen. Die Klebebänder wurden nach dem Abtrocknen des Putzes wieder entfernt. Inzwischen kam eine hellblau eingefärbte Putzschicht darüber. Nach der Trocknung wurden die eingefallenen Fugen der Rauten sauber aus- und in die Flächen fein glatt geschliffen. Jetzt wurde jedes zweite Feld mit einer etwas dunkleren blauen Lasur eingefärbt. Abschließend wurde alles komplett eingeseift, was der Wandfläche eine samtige Oberfläche verleiht. Damit das Rautenmuster nicht nur aufgemalt wirkt, sondern haptisch erlebbar wird, wurden die echten Fugen abschließend mit Acryl verfugt. Mit der einen Ausführung des 11 m2 großen Raumkunstwerks waren zwei Maler ungefähr eine Woche beschäftigt.
Auch am Boden wurden kreativ gearbeitet: Ein eingeflicktes, helleres Bodenfeld in der Raummitte, das unter dem PVC zum Vorschein kam, erhielt eine umlaufende Holzintarsie, die aus dem Flickenwerk eine Art hölzernen Teppich macht.
Bei dem mit Putz gearbeiteten Rautenmuster im Chefbüro wurden echte Fugen ausgefräst. Damit das Mauster in den Raumecken aufgeht, musste zunächst die optimale Rautengröße ermittelt werde.
Tapete, die keine ist
Im nordexponierten Mitarbeiterbüro, das als einziger Raum dieser Etage einen Stuckfries besitzt, schlug Maler Kaftan eine Nesselstoff als Wandbekleidung vor. Der Nesselstoff gibt dem Raum durch sine Struktur Halt und Ruhe und das natürliche Material passt prima ins Ökosystem altes Haus. Die Bahnen ließen sich relativ einfach quer zur Wandfläche verkleben, doch dann kam die eigentliche Arbeit: Winfried Kaftan lasierte den Stoff in orangen und gelben Längsstreifen mit dem Pinsel, wobei jeder Streifen im Farbton leicht variiert, je nach Auftragshäufigkeit – manche wurden ein bis zwei Mal, andere drei Mal übermalt. Die erzeugt eine ausgesprochen Lebendigkeit der Fläche. Als Krönung trennen dünne pinsellinien in Rosa die Streifen voneinander.
Die sonnigen warmen Farbtöne sorgen für eine fröhliche Stimmung, auch wenn das Büro nur morgens Sonne ab bekommt. Nun sollte das Ganze aber nicht wie eine Tapete wirken. So entwickelten die Gestalter die Idee, auch den Stuckfries zu bemalen.
Der mit gelb-orange Streifen bemalte Nesselstoff an den Wänden sorgt für eine sonnige Stimmung in diesem Nordzimmer. Damit die kunstvolle Wandbekleidung nicht wie eine Tapete wirkt, wurde der Stuckfries an der Decke auch bemalt. Jeder Streifen wurde verschieden oft mit dem Pinsel übermalt, sodass der Farbton leicht variiert und die Wand lebendiger erscheint. Zum Schluss wurden die rosa Linien aufgebracht.
Grünes Zimmer mit türkisblauen Spiralen
Im dem nach Osten ausgerichteten Arbeitszimmer springen die dreidimensionalen, spiralförmigen Applikationen ins Auge, die sich türkisfarben auf frischgrünem Grund präsentieren und die Raumecken aufzuheben scheinen, denn sie wurden über diese einfach hinweg geklebt. Auch eine Idee von Maler Kaftan, der diese natürlich auch umsetzte. Die Anordnung und Verteilung der Spiralen auf den Wandflächen zeigt ein sehr gutes Gespür für Proportionen. Damit die aufgesetzten Goldkugelhälften am Deckenfries nicht kitschig-glänzend wirken, wurden die Gipskugeln zuerst in Rot grundiert, bevor sie mit Goldbronze beschichtet wurden. Nun leuchtet das Gold edelmatt warm.
Selbst das kleine Tiolettenräumchen weist an Boden und Wänden liebevolle Gestaltungselemente auf. Der Mosaikboden besteht aus Bruchfliesen, die erst nach dem Einbau glasiert wurden, um ein ausgeglichenes Niveau herzustellen. Originell ist der Fries, der zwei in Variationen ineinander verschlungene Frösche zeigt – eine Figur des Zeichners und Cartoonisten Tomi Ungerer, die Winfried Kaftan mit Hilfe eines Stempels anbrachte. Schließlich malte er jeden Frosch liebevoll flächig aus. Anne Batisweiler ist von der Gesamtgestaltung der Räume rundum begeistert und scheute auch die Mehrkosten nicht: „Die Raumgestaltung verändere ich ja nicht so schnell wieder – über die Jahre gesehen rechnet sich auch der Mehraufwand für die kunstvolle Ausführung auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten“
Zum Ökosystem altes Haus gehört auch die Temperierung in Form einer ausgeklügelten Wandheizung: Am Übergang zum Boden und auf Höhe der Nierengegend bei Sitzenden verlaufen Heizungsrohre, die für eine warme Außenwand und angenehme Strahlungswärme ähnlich wie bei einem Kachelofen sorgen.
Das frisch-grün beschichtete Arbeitszimmer im Osten hat eine beschwingte, spielerische Note. Die dreidimensionalen türkisblauen Spiralen und die goldfarbenen Halbkugeln verleihen den Wänden eine plastische Tiefe
Flexible und kompetente Handwerker gesucht
Ein Kapitel zum Thema Erfahrungen mit Malern ist auch die Außenfassade. Anne Batisweiler wollte einen mit Bürste aufgetragenen Silikatputz, in Anlehnung an die historische Befunde. Aber es war schwierig, einen Maler zu finden, der mit der Bürste an der Fassade arbeiten wollte, berichtet sie. Vergleiche mit Rollenauftrag, die sie an der Fassade durchführen ließ, hatten aber gezeigt, dass die Verteilung der Sandkörnchen im Putz und damit die Strukturierung ein völlig anderes Erscheinungsbild aufweist, wenn der Putz statt gebürstet gerollt wird. Die Bauherrin fand schließlich einen Maurer, der eine historische Putztechnik beherrschte, bei der der Putz mittels eines an einen Stock gebundenen Reisigs an die Wandgeschleudert wird. Zum Schluss wurde die ganze Fassade des zweistöckigen Hauses von zwei Handwerkern abgebürstet, so dass die kristalline Sandkornstruktur sehr schön zum Vorschein kam.
Blieb noch die Rekonstruktion der bemalten Fensterläden: Mit einem Pflanzenbestimmungsbuch suchte die Bauherrin und die Restauratorinnen die zugehörige Blütenfarbe der unter dem Lack in Resten vorhandenen Pflanzenmalereien, die nur in Schwarz-weiß-Fotos dokumentiert waren, und rekonstruierten die Malereien.
Im Rückblick stellte Anne Batisweiler fest, dass ihr die Restaurierung sehr viel Freude gemacht habe und sie vor allem im Austausch mit den Fachleuten, den Restauratorinnen und „ihrem“ Maler sehr viel gelernt hätte. Im Hinblick auf ihre vielfältigen Erfahrungen mit Maler sagt sie: „Wenn Sie einen Maler wie Winfried Kaftan finden, müssen sie ihn sich warm halten“.
Beitrag aus Die Malerzeitschrift Mappe 02/2005
Autorin: Bärbel Daiber
Verlag: Callwey GmbH & Co. KG
www.mappe.de